Nach Bereitstellung des digitalen Archivs von Professor Armin Schulte können Mitglieder ab sofort auf sämtliche Aufsätze Wilhelm Salber - außer die anders-Kolumnen - zugreifen. Lesen Sie hier einen Text von Dr. Daniel Salber, der diese Zusammenstellung der Arbeiten seines Vaters vorstellt.

Unterwegs zur Morphologie – Wilhelm Salbers Aufsätze von 1953 bis 2004

von Daniel Salber

Den besten Zugang zur Psychologischen Morphologie eröffnen die wissenschaftlichen Aufsätze Wilhelm Salbers von 1953 bis 2004. Sie sind das „On the Road“ der Morphologie: Was immer W.Salber auf seinem Lebens- und Denkweg begegnete – Vampirfilme, Kleidung, Kinderzeichnungen, sogar Thomas v. Aquin – nahm er als Gelegenheiten wahr, seine eigene Psychologie zu formulieren. Seine Aufsätze sammelte er in sieben sog. „Varia Bänden“, die er zusammenstellen und zur eigenen Verwendung binden ließ. Sowohl für Nicht-Morphologen als auch für Experten sind die „Varia“ von unschätzbarem Wert, da sie Werden und Sinn dieser Psychologie Schritt um Schritt erkennen lassen.

Leser der „Varia“ können Salber auf dem Weg seines Denkens begleiten. Dabei werden sie feststellen, dass „die“ Morphologie keine in Stein gemeißelte Doktrin ist, sondern sich selber, wie das Seelenleben, in Bildung-Umbildung fand und: findet. Wenn es EIN einziger Gedanke ist, den ein Denker zeitlebens verfolgt, dann ist es bei Salber der Gedanke, dass etwas nur dasselbe bleiben kann, indem es sich wandelt. Verwandlung ist nicht Veränderung, sondern Existenzbedingung von Identität. Genau diese Paradoxie lässt auch das Werden der Einen Morphologie in den vielfältigen „Varia“ verstehen.

Schon die „vergleichende phänomenologische Betrachtung“ von „Urteil, Entschluss und Entscheidung“ (1953) zieht gegen die starre Einteilung des Lebens in „Wille und Denken“ zu Felde, indem sie das Werden von Orientierung und Richtung im Daseinsvollzug beschreibt. Stehen hier Husserl und Rothacker noch Pate, so wird Salbers eigene Richtung 1959 deutlicher: „Sind Ganzheiten praktisch?“. Diese Frage leitet keine trockene Theorie ein, sondern eine produktive Auseinandersetzung mit den damals sensationellen Marktforschungen Vance Packards. Ganzheit – und nicht Gestalt – war Grunderfahrung und Wegweiser für Salbers Psychologie.

Die „Qualitative(n) Methoden der Persönlichkeitsforschung“ (1960) erscheinen wie eine Befestigung des eigenen Terrains, bevor Salber in den folgenden Jahren zur „Morphologie“ aufbricht. In „Der Blick“ (1960) entwickelt er in Anlehnung an Sartre und Adler eine „Morphologie“ des Blicks (Varia I, S. 185). Die Entdeckung der „Komplexentwicklung“ findet sich im Aufsatz „Zur Psychologie des Filmerlebens“ (1960). Einige Jahre danach taucht zum ersten Mal das Konzept der „Wirkungseinheit“ auf (1966), wenig später das ontologische Prinzip der Morphologie: „Existieren“ als „Gestaltwerden“ (1969). Diese Grundgedanken werden, wie gesagt, nicht abstrakt formuliert, sondern an Presse, Schule, Hochschulreform, Literatur anschaulich entfaltet – und seit den 1970er Jahren an der Kunst.

Wer Salbers Weg in den „Varia“ mitgeht, stolpert nicht mehr über Sätze wie „Medienseele ist Verwandlung“ („Was wirkt“, 1994). Aus Sicht dieser Auffassung vom Menschen wird die Kritik unserer Kultur verständlich, die Salber 1999 in einem Interview übte: „Die ausgekuppelte Kultur“ hat sich festgefahren in einem „Karussell von Beliebigkeiten“. In dieser weltlosen Welt verliert die klassische Psychoanalyse den Boden. Salber verstand seine „Analytische Intensivberatung“ (IB) als zeitgemäße Fortführung. Nach jahrzehntelanger Erprobung stellte er die „IB“ 2001 zusammen mit N. Endres in einem Aufsatz dar, der auch für Psychologen anderer Richtungen verständlich ist. „Das verrückte Ganze“ krönt dann 2004 die in den „Varia“ dargelegten Erfahrungen der „Morphologie des unbewussten Seelenbetriebs“.

Die nunmehr online verfügbare Aufsatz-Sammlung legt Zeugnis ab von einem Denken, das gerade in seiner Freiheit dem „Gegenstand“ – der Seinslage des Menschen – verbunden bleibt. Morphologisch denken heißt, Morphologie weiter denken.

Hinweis: Mitglieder der Wilhelm Salber Gesellschaft (WSG) können sich unter “Mitgliederbereich” (Menü “Verein”) anmelden und im Bereich “Archiv” auf die VARIA-Bände zugreifen.