"Es ist erstaunlich, welche (universellen) Wirklichkeiten bei der Sexualität Gestalt und Wort werden - der ganze Götterhimmel und die Elemente werden in Koseworte, Ausrufe und Deklamationen umgesetzt." (Wilhelm Salber)
Auf der Grundlage von Salbers 1989 erschienen Buches "Der Alltag ist nicht grau" und vieler anderer seiner Untersuchungen stellen wir auf dieser Website in lockeren Abständen Alltagsformen dar. In diesem Beitrag geht es um die Psychologie der Sexualität im Alltag.
Unter den Tätigkeiten des Tages hebt sich die Sexualität als besonders anziehend hervor. Zwischen den anderen Alltagsformen taucht sie als ein erregendes Muster auf, das intensiv für sich selbst wirbt. Das kann bei Hausarbeiten wie Geschirrspülen oder Bett machen geschehen. Das Muster wird aber auch mitten unter anderen Menschen belebt. Wie ein Werbe-Bild signalisiert es dem Seelischen: „Ich verspreche dir ein erregendes Erlebnis!“
Entwicklungsbild
Warum ist mit dieser Alltagsform ein solch starkes Versprechen verbunden? Morphologisch betrachtet, wirbt Sexualität für eine komplette Entwicklung in Kurzfassung. Entwicklung ist in der Auffassung Wilhelm Salbers das Grundmotiv des Seelischen. Es findet keinen tieferen Sinn als sich in den Drehungen der Wirklichkeit zu behandeln und zu verstehen. Man muss daher sexuellen Handlungen keinen Trieb unterlegen. Ad-hoc-Entwicklungen beziehen ihren Antrieb aus sich heraus. Sie sind psychische ‚Wirbel‘, die das Ganze in etwas anderes hineinführen, es zu verwandeln versprechen. Auch die Aussicht, einen Film zu sehen, im Sommer ein kühles Getränk zu sich zu nehmen entfalten eine anziehende Wirkung. Aber bei der Sexualität handelt es sich um ein Muster, das in noch stärkerem Maße als sinnliche und dramatische Drehfigur angelegt ist.
Entwicklung in Kurzfassung
Die Entwicklungs-Gestalt der Sexualität beginnt mit einer Anziehung, die auf Entfaltung drängt. In mehr oder weniger passenden Situationen entsteht der Keim einer Erregung und drängt auf Umsatz in Tätigkeiten.
Die auf diese Weise entstehende Alltagsform Sexualität hält vielfältige Tätigkeiten, Bilder, Erlebensqualitäten und eine drängende Schließungstendenz zusammen. Sie bringt Grundverhältnisse wie oben und unten, Vordrängen und Zurückweichen, Bemächtigen und bemächtigt Werden ins Spiel.
Sie formt sich körpernah aus in Riechen, Schmecken, Fühlen und setzt sich in – für sich betrachtet – banalen Bewegungen fort. Aber ebenso geht sie in universale Gestaltungen wie Strömen, Fallen, Eindringen, Empfangen und Verschmelzen über. Mit ihr sind voneinander abgehobene Dreh- und Wendepunkte sowie Umstellungen gegeben.
Formt sich Sexualität mit anderen aus, werden Genese und Zerfall einer gemeinsamen Gestalt erfahren. Denn mit ihren Tätigkeiten und Erlebensqualitäten belebt sie die materialen Grundlagen gemeinsamen Gestaltens.
Wie bei einer Geschichte läuft ihre Entwicklung auf eine „Klimax“ zu. Letztere verspricht Qualitäten ozeanischer Entgrenzung. Und wie das Ende eines Sturms klingt sie hierauf ab.
Ausformungen
Dass es sich bei Sexualität zunächst um ein ideales Werbe-Bild von Entwicklung handelt, zeigen viele Ausführungen, in denen dieses Muster im Alltag tatsächlich vollzogen wird. Das Bild einer kompletten Entwicklung im Kurzformat kann sich im Alltag als Überwältigung, als Gegeneinander und Nebeneinander ausformen. Die Entwicklung kann abbrechen, steckenbleiben und erkalten. Teilaspekte, die von der Gesamtentwicklung ihren Platz zugeteilt bekommen, können sich verabsolutieren und das Ganze nach ihrer Logik ausrichten. Dann klammert sich die Sexualität an einen “Fetisch”, den sie in immer neuen Anläufen ansteuern muss.
Psychosexualität
Bei der Dynamik der menschlichen Sexualität, ihrer enormen Kombinatorik und Störbarkeit ist es nachvollziehbar, dass Sigmund Freud in ihr einen Ordnungsgesichtspunkt für das Seelische überhaupt entdeckte. Er sah Sexualität als ein Symbol für die Produktionen, in denen sich Wirklichkeit zu behandeln und zu verstehen sucht.
Text nach W. Salber (1989): Der Alltag ist nicht grau (S. 132 f.)
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