Die Erfassung der Privatbibliothek Wilhelm Salbers kommt voran. Weit mehr als die Hälfte der Bände sind katalogisiert. Heute stellen wir einen weiteren Band dieser beachtlichen Sammlung vor: Die "Göttliche Komödie" von Dante Alighieri (1265-1321).

Nel mezzo del cammin di nostra vita
mi ritrovai per una selva oscura,
ché la diritta via era smarrita

Es war in unseres Lebensweges Mitte,
Als ich mich fand in einem dunklen Walde;
Denn ab geirrt war ich vom rechten Wege

Der Fund

Wer hat diese italienischen Verse nicht schon einmal gehört oder gelesen? Sie stammen aus der Feder des italienischen Philosophen und Dichters Dante Alighieri. Er kam 1265 in Florenz zur Welt und starb am 14. September 1321 – also vor 700 Jahren – im politischen Exil Ravenna . Dante ist der Verfasser eines der berühmtesten Dichtungen, der Divina Comedia, zu Deutsch „Göttliche Komödie“. Sie beginnt mit den oben zitierten und in zahlreichen Übersetzungen vorliegenden Zeilen. In der Privatbibliothek Wilhelm Salbers befinden sich mehrere Ausgaben dieses Werkes. Dank eines Hinweises von Frau Tilemann, die zurzeit damit befasst ist, die Privatbibliothek Wilhelm Salber bibliothekarisch zu erfassen, zog in diesem weltweit gefeierten „Dante-Jahr“ eine Ausgabe unsere besondere Aufmerksamkeit auf sich.

Die von W. Salber übermalte Abbildung von Bernhard Schuler

Es handelt sich um die populäre, „den Deutschen gewidmete“ Ausgabe in Wort und Bild, die der Dante-Forscher und Schriftsteller Bernhard Schuler um 1900 in seinem Münchner Verlag herausgab. Die Ausschnitte aus dem Dante-Text, dessen Versform das Lesen heute erschwert, sind ergänzt um Zusammenfassungen der einzelnen Abschnitte. Überdies finden sich in Schulers Buch Erläuterungen zu den in der Dichtung erscheinenden, zahlreichen historischen Figuren sowie eine Fülle von Illustrationen und Zeichnungen. Auch Übersichten über den Aufbau des Jenseits, das der Dichter Dante – in weiten Teilen zusammen mit seinem römischen Kollegen Virgil – durchwandert, sind dort zu finden.

Die Spuren

Die auffälligsten Spuren, die Wilhelm Salber in Schulers Bearbeitung der „Göttlichen Komödie“ hinterlassen hat, sind folgende:
1) Das Konterfei Bernhard Schulers wurde von Salber farbig übermalt. Die Bildunterschrift, die auf den Dante-Forscher verweist, wurde abgeändert in „Dante vor Besteigen der Dante Barke“.
2) Offenbar wurde von einem Buchbinder die Fadenheftung des Buchblocks aufgelöst. Dann wurden circa alle 25 Seiten jeweils 4 Blätter weißes Kartonpapier eingefügt. Schließlich wurden die gelösten Abschnitte wieder neu zusammengefügt und in das ursprüngliche Hardcover eingebunden.
3) Salber hatte offenbar vor, auf den eingefügten weißen Blättern eigene Illustrationen denjenigen hinzuzufügen, die in dem Buch bereits enthalten sind. Nur ein Teil der Blätter wurde von ihm bearbeitet, einige der dabei entstanden Zeichnungen geben wir hier wieder.
4) Außerdem liegen zwischen einzelnen Seiten auf Kalenderblätter geschriebene Notizen Wilhelm Salbers, in denen er die Wirkungen seiner Lektüre des Textes festgehalten und geordnet zu haben scheint.
5) Schließlich finden sich Zeitungsausschnitte mit Fotografien im Buch, die von Salber teilweise zeichnerisch bearbeitet wurden.

Die Geschichte

Auf den äußeren Anlass für die Bearbeitung der „Göttlichen Komödie“ in dieser Form könnte ein kleiner Prospekt verweisen, der sich ebenfalls im Buch befindet. Demnach hat Salber in der Kirche St. Johann Baptist am 27. März 2009 einen Vortrag gehalten mit dem Titel: „Dantes Göttliche Komödie – Wege und Irrwege des Seelischen“. Weitere Spuren bringen uns zu der Annahme, dass die Veranstaltung nicht in St. Johann Baptist an der Severinstraße in Köln, sondern in der Nähe von Bergisch Gladbach stattfand.
Der ungewöhnliche Umgang mit Dantes Dichtung dokumentiert die Art und Weise, in der Salber sich auf seine Vorträge vorzubereiten pflegte. Die gründliche Lektüre von Dantes Text reichte ihm offenbar nicht aus, sich ein lebendiges Bild von dem Werk zu machen, über das er sprechen wollte. Er wollte keine „klugen Sätze“ von sich geben oder den Zuhörern sein breites Wissen vorführen. Um seinen morphologischen Blick zu vermitteln und Dantes Werk auf seine Art aufzuschließen, ging es ihm zunächst einmal darum, sich den Text anzueignen. Die oben angeführten Spuren zeigen an, dass diese Aneignung aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Tätigkeiten stattfand.

Die Wiedergabe

Salber imponierte immer wieder mit seinen frei gehaltenen Vorträgen. Da er sie niemals von einem Text-Manuskript ablas und sich stets auf handschriftliche Skizzen wie die unten eingefügten bezog, war es in dieser Form  leicht, ihn zu verstehen. ER hielt auch seine Vorlesungen an der Universität stets frei. Er kam mit einem sorgfältig ausgearbeiteten Bild des Ganzen und bezog seine Zuhörern in es ein, indem er es vor ihnen – scheinbar wie zum ersten Mal – entfaltete. Heute würde man bei einem solchen Vortagsstil von „Performanz“ sprechen. Und tatsächlich wurde eine derartige Begegnung mit Salbers Blick als ein einzigartiges Ereignis erlebt, das sich in dieser Form niemals wiederholen sollte.

 

Und zum Abschluss noch eine Empfehlung für Kollegen, die auf Dantes Spuren durch Italien wandern wollen. Die WASHINGTON POST empfiehlt zum Dante Jahr einen “poetischen Spaziergang auf Dantes Spuren”. Der Link führt Sie direkt zu dem lesenswerten Artikel.