Es sind noch nicht alle Bücher ausgepackt, aber die in diesen Wochen entstehende Wilhelm Salber Bibliothek zeigt schon jetzt eine Reihe von interessanten Abteilungen und Gruppierungen. Wir nehmen dies zum Anlass eine neue Reihe auf dieser Website zu eröffnen: "Berichte aus der Privatbibliothek Wilhelm Salbers". In lockeren Abständen werden sich Kollegen ein oder mehrere Bücher vornehmen und sie kurz vorstellen. So entsteht mit der Zeit ein Überblick über diese einzigartige und wertvolle Sammlung, die das kulturelle Universum ihres ehemaligen Besitzers repräsentiert.
In seinem Beitrag zu dem von Daniel Salber bei Bouvier 2018 herausgegebenen Buch „Haus aus Zeit“ stellt Wolfram Domke kurz und bündig fest: „Die Morphologie ist ein Don Quijote.“ (S. 38) Er sieht Analogien zwischen dem berühmten Roman von Miguel Cervantes und der Psychologischen Morphologie Wilhelm Salbers. Ähnlich wie Salber die Wirkungsprozesse beim Lesen des Don Quichote beschreibt, so erlebte Domke die Beziehung, die sich zwischen ihm und Salbers Psychologie entfaltete.
In Salbers Privatbibliothek findet sich ein gutes Dutzend Ausgaben des Don Quichote. Beeindruckend die von Gustave Doré illustrierten, großformatigen, zwei Bände von 1876. Interessant das Buch von 1870, zu dem Heinrich Heine eine Einleitung verfasste. Aufregend die Ausgabe mit den farbigen Illustrationen Salvador Dalis aus dem Jahr 1965.
Das sind nur einige, wenige Beispiele. Salber war ein Liebhaber schöner Bücher. Er verbrachte viel Zeit damit, Antiquariatskataloge durchzusehen und in einschlägigen Geschäften nach seltenen Erstausgaben zu suchen. Manchmal gelang es ihm, zu einem moderaten Preis einen kleinen Schatz zu heben. Aber das Sammeln ergänzte sich bei ihm mit einer intensiven Aneignung von Literatur und Kunst. Kaum ein Werk in seiner Bibliothek, dem man die Spuren seines Forschens nicht ansehen kann. Auch aus dem „Don Quichote“ machte er etwas, was die Entwicklung seiner Psychologie beeinflusste. Für manche seiner Studenten ist das Oberseminar der 1980er Jahre unvergesslich, bei dem man mit der Teilnahme die Verpflichtung übernahm, den ganzen „Quichote“ zu lesen und ein Erlebnisprotokoll darüber zu verfassen. Über diese einzigartige, literaturpsychologische Untersuchung erarbeitete sich Wilhelm Salber Sätze wie diese:
„‘Don Quichote‘ ist ein Angriff auf Verabredungen unserer Kultur, unserer Sprache und unserer Rechtfertigungen. Er macht uns die Zerstörung, aber auch die Anziehungskraft eines irdisch-ptolemäischen Weltbildes deutlich. Er kennzeichnet auf der einen Seite den Unsinn des ‚Richtigen‘, er lässt auf der anderen Seite Wirklichkeit verstehen, trotz ihrer Seltsamkeiten und Unsinnigkeiten. In allen Entwicklungen wird uns die ungeschlossene Geschlossenheit unserer Lebensverhältnisse nahegebracht … ‚Don Quichote‘ gibt nicht einfach Hinweise auf Leben, keine Handlungsanweisungen, keine Theorie; das Werk des Umgangs mit ‚Don Quichote‘ qualifiziert ‚gelebte und erlebte‘ Lebenszusammenhänge, indem es uns in Wirbel geraten lässt und dabei die Kategorien der Wirklichkeit, Verwandlungsprobleme und die Explosivität unserer Produktions-Verhältnisse spürbar macht. Die Wirklichkeit ist, was dabei herauskommt – wie es Don Quichote von der Malerei sagt.“ (Zitat aus Wilhelm Salber: Literaturpsychologie. Zweite Auflage Bonn 1988)