In unregelmäßigen Abständen präsentieren wir an dieser Stelle einen Text aus anders – Zeitschrift für Psychologische Morphologie. Er wird wenige Wochen online sein. Heute ist es die Kolumne von Wilhelm Salber “Hieronymus Bosch: Sein Garten organisiert menschliche Ausdrucksbildung” aus anders 31/2017. Wir geben eine Zeichnung des Autors und einen Ausschnitt des Bildes wieder. Das Original von H. Bosch hängt im Prado. Der LINK führt direkt dorthin.

Wilhelm Salber
Hieronymus Bosch: Sein Garten organisiert menschliche Ausdrucksbildung

Der Umgang mit einem bewegenden Bild, wie er sich als Verhaltens- und Erlebenszusammenhang beschreiben lässt, ist ein ausgezeichnetes Beispiel für morphologische Organisation als Ausdrucksbildung und Formenbildung.

Es geht um das Bild von Hieronymus Bosch, das üblicherweise als ‚Garten der Lüste‘ bezeichnet wird. Das Bild bezieht uns in ein Zugleich von mehreren Ecken her ein. Da ist ein großes Mittelstück mit einer leichteren hellen Seite und einer gedrängt schweren, dunklen Seite. Zugleich geht es von links los, quer durch die Mitten-Breite nach rechts hin, feurig und dunkel. Und dazu ein Kreis mittendrin und viele Großfiguren von seltsamen Blumen und surrealen Dämonen.

Das Zugleich legt nahe, Abstand zu nehmen, zurückzutreten, Zeit zum Hinsehen zu haben und zu beschreiben, was drauf ist. Das Moralisieren mit dem Titel ‚Garten der Lüste‘ kann man schon bald fallen lassen. Also noch einmal heran- gehen. Das Zentrum der Bildstruktur drängt sich vor: in einen Erdkreis ist der Kreis eines Reigens gestellt. Das wird ergänzt durch das leicht schwingende Ideal links und die rechte Tafel als Reich der Finsternis. Da legt sich dann auch ein Weg vom Paradies durch die Welt zur Hölle nahe. Himmlisches, irdisch Menschliches, dämonische Unterwelt?

Es dreht sich weiter. Links und in der Mitte gliedern sich seltsame Gewächse aus. Werdendes und Kugelndes, Blasen und Kreise, auch Eier und Urpflanzen könnten das sein. Dazu aber viel, das zunächst diffus erscheint, viel Volk, vereinen, verkehren und Verkehrungen, Verdrehungen, Verkapselungen, Anreize, da stehen, sich schließen, aufbrechen, keimen, sprossen. In der Mitte Gewässer. Rechts die übliche seltsame Bosch-Realität der bedrängenden (realen) Un-Möglichkeiten.

Gegenüber vorschnellen Sinndeutungen weiter an den Beschreibungen entlanggehen. Wieder in den Prozess, der von Kreisen zu Kugeln geht, Kugeln werden Kegel, Verschlossenes oder Eier, Lebenskeime. Daraus werden lebendige Tafelaufsätze, bizarre Pflanzen. Offenes und Sich-Schließendes, Festes und Gewässer. Das alles sind Metamorphosen, die sich hier selbst darstellen können. Das ist Gestaltung und Umgestaltung. Das ist ein Ganzes in ständigen Brechungen und Abwandlungen. Menschenwelt als ein Garten in Kultivierungen, Umstellungen, Verkehrungen, Keim- und Sprossformen. Der Garten des Menschlichen.

In seinen Gestaltungen springen die Ausgliederungen des Ganzen ineinander um: typisch Bosch diese möglich-unmöglichen ‚Kausalitäten‘ der Seelenlandschaften. Der Menschheits-Garten zeigt Dinge und Menschen als Übergänge, in Umstellungen und Verdrehungen. Dieses Zugleich und Dazwischen wird paradox ins Bild gerückt. Was aus einem Ei kommen kann, kann Kopf oder Hintern werden. Es kann in etwas Fremdem enden oder etwas Neues auf den Weg bringen. Was kann alles nicht alles andere tragen, fortsetzen, bewirken. Ein Fisch bewegt sich, also warum nicht Räder, er hat ein Maul, also geht es rein und raus wie bei einer Trompete. Er kann fressen und wird gefressen, er kann tragen und selber irgendwo drauf sein. Solche Werke sind Wirkendes, das sich in sich entwickeln kann, indem etwas in anderes übergeht und wieder damit bricht, indem es sich öffnet und verschließt.

Trennen, Vereinen, Verschieben, Vergrößern, Variieren. Als werde so die Wirklichkeit des Menschlichen dargestellt und ausgemessen. Ihre Wege und Irrwege. Wenn es heißt Hölle, klingt das dann so, als würden hier Wiederholungsinstrumente, Ausgehöhltes, Verkommen, Töten, Isolieren, Abfallen von Einzelheiten aus dem Ganzen vorzuführen versucht. Wir müssen daher riskieren, den Garten durch ein eigenes Werk zu kultivieren (Voltaire)! Das ist eine ganze Aufgabe.

Bosch malt ein Seelenbild, eine uns verlorene Seelen-Landschaft. Er malt es als Entwicklungs-Ding, das zeigt, wie es in Gestalten, in Gestaltung und Umgestaltung weitergehen kann. Was sich verlagern, verkehren kann, wo es sich begrenzen oder frei werden muss. Das stellt er dar in diesen Kreisen, Keimen und Spross-Formen, im Kugeln, im Fließenden. Und er stellt zugleich ins Bild, da lässt sich was verkehren, zerteilen, verschließen, auswachsen, zerstören, klittern, verheucheln, töten. In solchen Prozessen geht die Gestaltung weiter oder eben nicht weiter. Aber zugleich zeigt sich, worauf es ankommt im Ganzen. Das Ganze ist die Darstellung der Möglichkeiten im Unmöglichen, bei denen wir Partei nehmen müssen.

 

Aus dem Mittelteil des Triptychons: seltsamer, komischer Kreislauf des Lebens