Auf der Grundlage von Salbers 1989 erschienen Buches "Der Alltag ist nicht grau" und vieler anderer seiner Untersuchungen stellen wir auf dieser Website in lockeren Abständen Alltagsformen dar. In diesem Beitrag geht es um den Handschlag oder den Händedruck. Es handelt sich um eine Alltagsform, die im Rahmen der Corona-Zeit der Marginalisierung anheimfällt.

Händedruck

Dexiosisrelief aus Arsameia: Mthridates und Herakles schütteln die Hände

Von der Corona-Zeit aus betrachtet, mag die psychologische Analyse des „Händeschüttelns“ fast wie das Projekt einer >Alltags-Archäologie< erscheinen. Das einst gängige Begrüßungs- und Verabschiedungsritual wird heute kaum noch praktiziert und es ist fraglich, ob es je wieder die Bedeutung erhalten wird, die es einmal hatte. Die 1969 an der Universität zu Köln abgegebene, empirische Vordiplomarbeit von Franziska Berk-Langer „Untersuchungen zur Psychologie des Händedrucks“ und deren Zusammenfassung und Überarbeitung durch Wilhelm Salber in „Der Alltag ist nicht grau“ (1989, S. 143) nehmen wir als Anhaltspunkte, dieses marginalisierte Stück Alltagskultur zu rekonstruieren.

Kategorisierung
Ohne, dass wir es immer bemerken, ordnen und begreifen wir die Wirklichkeit mit Kategorien wie klein und groß, weich und hart, fest und fließend, anziehend und abstoßend. Auch indem wir Freunde von Feinden trennen oder ein innen von einem außen unterscheiden. Solche gängigen Kategorisierungen lassen uns in der Wirklichkeit zurechtfinden. Denn Kategorien sind Gestalten, die etwas auf Qualitäten hin abtasten, die sich mit etwas befassen, die mit Verfügen-Können und mit dem Erleiden von Unverfügbarkeit zu tun haben. Der Händedruck bringt dieses Kategorisieren körpernah zum Ausdruck. Wenn wir einem noch Fremden bei der Begrüßung die Hand geben, tasten wir in gewisser Weise ab, wer und was dieser andere sein könnte. Werden wir von ihm angezogen oder gehen wir auf Distanz? Ist er uns freundlich gesonnen? Könnte sich hinter seinem Lächeln eine Abwertung verbergen? Zugleich bringen wir mit dem Handschlag zum Ausdruck, dass wir dazu bereit sind, uns mit ihm zu befassen und mit ihm vertraut zu werden.

Markierung eines Rahmens
Darüber hinaus ist die Begrüßung und Verabschiedung über einen Händedruck auch ein Symbol für den Rahmen seelischer Geschehnisse. Der Rahmen ist ein formales Merkmal von Handlungseinheiten. Das kann ein Gespräch sein, eine Therapiestunde oder auch ein Treffen unter Freuden und Bekannten. Bei diesen Handlungseinheiten markiert der Händedruck sowohl die Basierung, als auch die Schließung oder Erfüllung einer Begegnung. Der Händedruck stellt heraus, dass ein gemeinsamer Rahmen gefunden werden soll oder gefunden wurde. Gerade deswegen lässt ein aufmerksamer, offener Händedruck schon verspüren, ob verschiedenartige oder gegensätzliche Gestaltungen in eins gebracht werden müssen. Es gibt den >eisernen< Händedruck, der die Angriffslust des anderen ankündigt. Oder den >fischigen< Händedruck, der ahnen lässt, dass der andere sich nicht fassen lassen wird. Auch den allzu weichen, den >amorphen< Händedruck gibt es, an dem wir spüren, dass sich der andere wahrscheinlich nicht als ein Gegenüber zeigen wird.

Bedeutungswandel
Die Künste des Seelischen kommen nicht aus unserem Inneren. Sie sind Formen der Alltagskultur, die dabei helfen, die Unruhe des Seelischen zu gestalten. Ein großer Teil unseres Könnens, unser Klugheit kommt uns aus dem Arsenal der Alltagsformen entgegen. Eine dieser Formen ist der Händedruck. In der Corona-Zeit hat sich seine Bedeutung gewandelt. Er wurde zu so etwas wie einer Eintrittspforte für aggressive Viren. Eine Umkehrung die aus offenen oder freundschaftlichen Begegnungen eine Gefahrensituation macht. „Der Dolch im Gewande“, vom Virenträger weder intendiert noch ihm in den meisten Fällen bewusst, ist seitdem als Nebenbild immer dabei. Die Alltagsformen wandeln sich mit dem übergreifenden Bild der Kultur.

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